Sonntag, 31. August 2014

Morbus Crohn und: Mein größter Feind bin ich selbst

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Mein größter Feind bin ich selbst. Ich bin die, die mich am meisten kritisiert, die mich selbst nicht erträgt. Ich bin die, die sich verurteilt, sich für mich schämt. Es sind meine Gedanken, die ich mir selbst konstruiere, die mich traktieren. Und die mir das Gefühl "geben", ich sei ein hässlicher, schlechter Mensch.

Wer Übergewicht hat(te) und es gerade geschafft hat, sich wieder in seinem Körper wohl zu fühlen und dieses Gefühl nun wieder verloren hat, der kann sich vielleicht vorstellen, wie ich mich gerade fühle. Mein neues Lebensgefühl, das ich mir so vehement zurückerobert hatte, ist weg.

Ich nehme aufgrund eines akuten Schubes hochdosiert Cortison und habe 6 Kilo in einer Woche zugenommen. Ich sehe aus wie ein Hefezopf, der gerade im Ofen wunderschön aufgegangen ist. Ich mag mich nicht mehr ansehen, ich mag mich nicht mehr leiden. Ich schäme mich. Ich bin traurig. Wenn Leute an mir vorbeigehen, frage ich mich, was sie sich wohl denken mögen. "Was hat die denn gemacht". "Gott wie sieht die denn aus". "Boah ist die hässlich". Nur einige Gedanken, die mir durch den Kopf schießen. Ich laufe mit gesenktem Blick durch die Straßen. Dabei habe ich doch gerade erst wieder gelernt, den Kopf stolz nach oben zu tragen, auf Menschen zuzugehen und mich ihnen zu öffnen.
Jetzt dieser Rückschlag. Ich stehe der Gewichtszunahme hilflos gegenüber. Alle Maßnahmen, die ich ergriffen habe, haben bisher nichts gebracht. Allein von gestern auf heute waren es fast 2 Kilo. Den Tränen ist Resignation gewichen.

Ich habe mich entschieden, heute diesen Beitrag zu schreiben - für mich und, um mit dieser Situation offen umzugehen und es beim Namen zu nennen. Ich will mich nicht vor der Welt, vor euch da draußen, verstecken.

Morbus Crohn ist eine tückische Erkrankung. Sie betrifft den Darm, im akuten Schub ist die Darmschleimhaut entzündet - die Patienten leiden unter massiven Durchfällen (30-40x am Tag), starken Schmerzen, Erschöpfung. Der Darm ist das Organ mit den meisten Nervenzellen. Seine Bakterien beeinflussen unseren gesamten Organismus - und ist seine Schleimhaut entzündet, funktioniert die ganze Nährstoffaufnahme nicht. Das wiederum hat Einfluss auf das gesamte Immunsystem, auf unsere Psyche, auf unseren Stoffwechsel. "Crohnis" (Patienten die Morbus Crohn haben) sind ein spezielles Völkchen. Sie sind häufig sehr sensibel, aber auch Kämpfernaturen. Extremsituationen sind ihnen nicht fremd. Die Erkrankung fördert ihre Angst vor Kontrollverlust zutage. Sie fordert einen jeden Tag aufs Neue heraus, was die Crohnis einerseits zu starken Persönlichkeiten, andererseits zu ängstlichen, emotionalen Wesen macht. Es ist eine Erkrankung, die einen sehr auf seine Persönlichkeitsstrukturen, auf seine Muster und Ängste aufmerksam macht. Sie tut das sehr zuverlässig. Haben wir Stress oder Angst, sind wir wütend oder hilflos - der Darm reagiert sofort. Wie eine Antenne zeigt er einem manchmal schon Empfindungen, bevor wir sie bewusst gefühlt haben. Es ist eine Erkrankung der Extreme. Die meisten sind spindeldürr, sehen aus wie magersüchtig - aber das sind sie nicht, der Körper kann aufgrund des hochgradigen Nährstoffmangels aufgrund der ständigen Entzündung nur nichts verwerten und "ansetzen". Andere - so wie ich, haben massive Gewichtszunahme unter Cortison - da spielt der ganze Stoffwechsel verrückt, die Hormone drehen durch und bringt alles durcheinander. Gewichtszu- und Abnahmen von 20-30 Kilo in einer Schubphase sind normal. Nun denkt man, gut, sie bekommen dann ihre Medikamente und ihnen geht es wieder gut. Aber so einfach ist das nicht. Die Medikamente mildern nur die Symptome ab. Durch die extreme Veränderung der Darmschleimhaut und damit einhergehend der Veränderung der Darmflora ist das ganze System verschoben. Bis das wieder im Lot ist, braucht es Zeit und richtig gute Produkte, um hier das Gleichgewicht wieder herzustellen. Leider vergessen die Ärzte meist, dass es mit Cortison oder Immunsuppressiva nicht getan ist. So leidet man als Patient häufig still. Schlafstörungen, depressive Verstimmungen, Gelenkschmerzen, Verdauungsstörungen sind nur einige andere Nebenwirkungen eines Schubes.

Ich leide seit 2,5 Jahren unter Morbus Crohn. Und ich beginne jetzt erst langsam, die Erkrankung und ihre Auswirkungen auf Körper und Geist besser zu verstehen. Am Anfang war da nur Angst. Scham. Hilflosigkeit und manchmal Wut darauf, dass der Körper nicht so funktioniert wie er "soll". Heute bin ich immer noch hilflos und ja, ich schäme mich auch. Aber ich weiß heute mehr - ich weiß, wie ich meinen Darm bestmöglich unterstützen kann. Ich weiß, wie wichtig Unterstützung aus dem sozialen Umfeld ist, aber auch, sie sich selbst zu geben - um diese Zeiten durchzustehen. Und ich weiß heute, dass der Crohn mich nicht "kaputt" machen will. Er will, dass ich heile. Körperlich und geistig. Dass ich lerne, mich anzunehmen - auch wenn ich alles andere als perfekt bin. Und dass ich geliebt werden kann, auch wenn ich aufgeschwollen und fett bin. Die besten Ehen sehe ich wirklich bei meinen Crohn-Freundinnen - diese Männer stehen bedingungslos hinter ihren Frauen und das rührt mich immer wieder sehr.

Deshalb: So sehr wie mich diese Situation belastet, führt sie doch jetzt auch dazu, dass ich mein Verhältnis zu mir selbst nochmal in Augenschein nehme. Kann ich vielleicht nicht nur mein größter Feind, sondern vielleicht auch mein größter Freund sein? Wenn ich in der Lage bin, mich SO zu verabscheuen, kann ich mich dann auch SO lieben? Ist es möglich, aus diesem Rückschlag neuen Anlauf zu nehmen und zu sagen: Egal, dann beginne ich nochmal von vorne? Ehrlich gesagt weiß ich nicht ob ich die Kraft wirklich habe. Ich weiß auch nicht, wie ich auf Liebe umschwenken kann. Vielleicht ist Resignation der Schlüssel. Resignation heißt auch, die Situation anzunehmen wie sie ist. Es ist so. Jetzt. Das heißt nicht, dass sie für immer so bleiben wird. Denn das liegt dann wiederum in meiner Hand.
Ich kann es nicht ändern, ich kann eine chronische Erkrankung nicht wegzaubern. Ich kann meine dicken Backen, das Doppelkinn, all das Aufgeschwemmte nicht ablassen wie Luft aus einem Schwimmring. Und ich kann auch nicht länger dagegen ankämpfen.

Wenn es mir gelingt, mich in diesem Zustand zu mögen, mich nicht länger zu verurteilen, sondern mich jeden Tag, jede Minute neu zu ermutigen, mir selbst Kraft zuzusprechen und einfach weiterzumachen mit meinem Leben, dann kann ich diese Zeit überstehen. Und nicht gebrochen, sondern mit geradem Kreuz und einem noch schöneren Lebensgefühl als vorher. Jetzt weiß ich, was ich wirklich verliere und das hat mit ein paar Kilo Gewicht nichts zu tun. Ich verliere die Lust am Leben, die Lust auf Menschen, die Lust auf mich selbst. Und dafür lohnt es sich, immer wieder einen neuen Anlauf zu nehmen - sei der Rückschlag auch noch so groß.

2 Kommentare :

  1. Liebe Tanja, ich kann sehr gut mit dir mitfühlen und hoffe dass du das Cortison mittlerweile ausschleichen konntest... Ich bin seit mittlerweile 5 Jahren Morbus Crohn Patientin und unter Cortison Therapie habe ich mich in meinem Körper auch sehr unwohl gefühlt... das Mondgesicht hat mich lange begleitet und die Erkrankung zu akzeptieren war ein wichtiger Schritt für mich. Es würde mich sehr interessieren wie es dir heute geht? Ich wünsche dir nur das Beste,

    Ganz liebe Grüße,
    bauchblubbern

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  2. Liebe Tanja,

    ich kann dich sehr gut verstehen. Ich hatte jahrelang eine Histaminintoleranz. Während Schwangerschaft und Stillzeit (zumindest die ersten 14 Monate davon) war sie weg. Und dann, eines Tages, BAM, fühlte ich mich wie früher...

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